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Lexikon

Lexikon zu Restauration und Vormärz. Deutsche Geschichte 1815 bis 1848 [17.06.2011]

Harald Lönnecker

Karlsbader Beschlüsse


Gefaßt auf Veranlassung des österreichischen Staatskanzlers Clemens Wenzel Fürst von Metternich (1773-1859) und in Abstimmung mit Preußen zwischen dem 6. und 31. August 1819 auf einer Konferenz in Karlsbad i. Böhmen unter Beteiligung von Vertretern von zehn als konservativ geltenden deutschen Staaten. Sie umfassen im wesentlichen die Entwürfe für vier Bundesgesetze (Universitätsgesetz, Pressegesetz, Untersuchungsgesetz gegen bundesfeindliche Umtriebe, provisorische Exekutionsordnung). Am 16. September 1819 wurden die Karlsbader Beschlüsse dem Deutschen Bundestag vorgelegt und „in einem mehr als fragwürdigen Eilverfahren“ (Thomas Nipperdey) am 20. verabschiedet.

Das Universitätsgesetz bestimmte die Überwachung der Hochschulen durch Regierungsbevollmächtigte und verlieh den Regierungen die Befugnis, Professoren zu entlassen, deren Lehren geeignet schienen, Ordnung und Ruhe zu stören oder die „Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtungen [zu] untergraben“. Es verbot ferner geheime Studentenverbindungen und Burschenschaften und legte fest, daß von einer Universität auf Antrag des Regierungsbevollmächtigen verwiesene Studenten an keiner anderen Hochschule im Deutschen Bund zugelassen werden sollten.

Das Pressegesetz schränkte die in Art. 18. der Bundesakte von 1815 angedeutete Pressefreiheit erheblich ein und kehrte zur Vorzensur zurück. Das Untersuchungsgesetz war die Grundlage für die Gründung der Mainzer Zentraluntersuchungskommission, deren Aufgabe die Aufdeckung revolutionärer Verschwörungen in den Bundesstaaten sein sollte. Der Durch- und Umsetzung der drei Gesetze diente die Exekutionsordnung. Sie ermöglichte es dem Deutschen Bund, gegen nationale und revolutionäre Bewegungen in den deutschen Staaten unmittelbar vorzugehen. Alle Gesetze blieben bis zur Aufhebung durch den Bundestag 1848 in Kraft.

Der äußere und teilweise höchst willkommene Anlaß für die Karlsbader Beschlüsse war die Ermordung des als antinational und -liberal geltenden Schriftstellers und russischen Staatsrats August von Kotzebue (1761-1819) durch den Jenaer, Tübinger und Erlanger Burschenschafter Karl Ludwig Sand (1795-1820). Die deutschen Regierungen fühlten sich durch die nationalen und liberalen Forderungen der beginnenden Nationalbewegung und insbesondere die Burschenschaften bedroht und leiteten seit dem Wartburgfest von 1817 Gegenmaßnahmen ein, die zunächst weit weniger einschränkend geplant waren. Während Österreich sich als Vielvölkerstaat besonders angegriffen fühlte, wollte vor allem Preußen die Überwachung der Universitäten nicht in der Schärfe umsetzen, wie es dann tatsächlich geschah. Auf Grund dieser Bedenken schien Metternich die nach Art. 7 der Bundesakte notwendige Einstimmigkeit für Bundesbeschlüsse gefährdet, die die „Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit Deutschlands“ betrafen, und er lud nach Karlsbad ein, um im Vorfeld bereits größtmögliche Übereinstimmung herbeizuführen. Das schien nach außen gelungen, das offizielle Protokoll verzeichnet Stimmeneinhelligkeit. Die zahlreichen Einwendungen der Regierungen wurden nur in einem geheimen Protokoll festgehalten.

Mehrere Regierungen fühlten sich durch die Karlsbader Beschlüsse brüskiert. Allerdings nicht, weil nun Handhaben zum Vorgehen gegen die Nationalbewegung geschaffen waren, sondern weil die beiden Führungsmächte Österreich und Preußen sich über ihre Souveränität hinweggesetzt, ihre Interessen mißachtet und sie „überrumpelt“ hatten (Ernst Rudolf Huber). Einige Regierungen fürchteten eine Zentralisierung des Deutschen Bundes, der derart gravierend in ihre Universitäts-, Presse- und Justizhoheit eingriff. Vor allem Österreich scheint die Karlsbader Beschlüsse denn auch als eine Möglichkeit des Hineinregierens in die schwächeren Bundesmitglieder begriffen zu haben, zumal bereits Zeitgenossen – allen voran der preußische Unterrichtsminister Karl vom Stein zum Altenstein (1770-1840) – keine politische Notwendigkeit für so weitgehende Abwehrmaßnahmen sahen. Einzelne Regierungen lockerten später die Karlsbader Beschlüsse in ihrem Bereich.

Die Revolutionen von 1830 und 1848 zeigten, daß neue Ideen und Entwicklungen nicht durch die Karlsbader Beschlüsse aufgehalten worden waren, gebremst und verlangsamt haben sie sie sicherlich. Auswirkungen des durch die Karlsbader Beschlüsse geschaffenen Klimas waren etwa die Entlassung von Professoren – bekannt wurden vor allem die „Göttinger Sieben“ – und die Verweisung von Studenten, fast ausschließlich Burschenschaftern, von den Hochschulen. Zusammengefaßt wurde dies unter dem meist abschätzig verwandten Begriff der „Demagogenverfolgung“.

Literatur:

Brümmer, Manfred: Staat kontra Universität. Die Universität Halle-Wittenberg und die Karlsbader Beschlüsse 1819-1848, Weimar 1991;

Brümmer, Manfred: Die staatsrechtliche und hochschulpolitische Funktion der außerordentlichen Regierungsbevollmächtigten 1819-1848, besonders an der Universität Halle-Wittenberg, in: Asmus, Helmut (Hrsg.), Studentische Burschenschaften und bürgerliche Umwälzung. Zum 175. Jahrestag des Wartburgfestes, Berlin 1992, S. 107-118;

Büssem, Eberhard: Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15, Hildesheim 1974;

Heer, Georg: Geschichte der Deutschen Burschenschaft, Bd. 2: Die Demagogenzeit 1820-1833 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung, 10), Heidelberg 1927, 2. Aufl. 1965, Bd. 3: Die Zeit des Progresses 1833-1859 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung, 11), Heidelberg 1929;

[Hofmann, Andreas C.: Deutsche Universitätspolitik im Vormärz zwischen Zentralismus, ›Transstaatlichkeit‹ und »Eigenstaatlichkeitsideologien« (1815/19 bis 1848), Phil. Diss. Ludwig-Maximilians-Universität München 2014, durchges., um einige Abb. gek. Online-Fassung, Univ.bibl. München 2015/16, http://edoc.ub.uni-muenchen.de/19647;]

Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, Stuttgart 1957, S. 732 ff.;

Huber, Ernst Rudolf: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1961, S. 95 ff.;

Ilse, L[eopold]. F[riedrich].: Geschichte der politischen Untersuchungen, welche durch die neben der Bundesversammlung errichteten Commissionen, der Central-Untersuchungs-Kommission zu Mainz und der Bundes-Central-Behörde zu Frankfurt in den Jahren 1819 bis 1827 und 1833 bis 1842 geführt sind, Frankfurt a. M. 1860;

Lönnecker, Harald: Unzufriedenheit mit den bestehenden Regierungen unter dem Volke zu verbreiten“. Politische Lieder der Burschenschaften aus der Zeit zwischen 1820 und 1850, in: Matter, Max/Grosch, Nils (Hrsg.): Lied und populäre Kultur. Song and Popular Culture (Jahrbuch des Deutschen Volksliedarchivs Freiburg i. Br., 48/2003), Münster/New York/München/Berlin 2004, S. 85-131;

Lönnecker, Harald: Sand, Carl Ludwig, in: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Neue Deutsche Biographie, Bd. 22 (Rohmer-Schinkel), Berlin 2005, S. 413-414;

Lönnecker, Harald: Studenten und Gesellschaft, Studenten in der Gesellschaft – Versuch eines Überblicks seit Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Schwinges, Rainer Christoph (Hrsg.): Universität im öffentlichen Raum (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, 10), Basel 2008, S. 387-438;

Lönnecker, Harald: Zwischen Völkerschlacht und Erstem Weltkrieg – Verbindungen und Vereine an der Universität Leipzig im 19. Jahrhundert, Koblenz 2008;

Lönnecker, Harald: Profil und Bedeutung der Burschenschaften in Baden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Aurnhammer, Achim/Kühlmann, Wilhelm/Schmidt-Bergmann, Hansgeorg (Hrsg.): Von der Spätaufklärung zur Badischen Revolution – Literarisches Leben in Baden zwischen 1800 und 1850 (Literarisches Leben im deutschen Südwesten von der Aufklärung bis zur Moderne. Ein Grundriss, II), Freiburg i. Br./Berlin/Wien 2010, S. 127-157;

Lönnecker, Harald: „... nur den Eingeweihten bekannt und für Außenseiter oft nicht recht verständlich“. Studentische Verbindungen und Vereine in Göttingen, Braunschweig und Hannover im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 82 (2010), S. 133-162;

Oelschlägel, Thomas: Hochschulpolitik in Württemberg 1819-1825. Die Auswirkungen der Karlsbader Beschlüsse auf die Universität Tübingen (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, 43), Sigmaringen 1995;

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Treml, Manfred: Bayerns Pressepolitik zwischen Verfassungstreue und Bundespflicht (1815-1837). Ein Beitrag zum bayerischen Souveränitätsverständnis und Konstitutionalismus im deutschen Vormärz (Beiträge zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter, 16), Berlin 1977;

Weber, Eberhard: Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts, Reihe A, Studien, 8), Karlsruhe 1970;

Wentzcke, Paul: Geschichte der Deutschen Burschenschaft, Bd. 1: Vor- und Frühzeit bis zu den Karlsbader Beschlüssen (Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung, 6), Heidelberg 1919, 2. Aufl. 1965.

Empfohlene Zitierweise

Lönnecker, Harald: Karlsbader Beschlüsse. aus: Lexikon zu Restauration und Vormärz. Deutsche Geschichte von 1815 bis 1848 [17.06.2011], hrsg. v. Andreas C. Hofmann, in: historicum.net, URL: https://www.historicum.net/purl/237z4i/

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Erstellt: 17.06.2011

Zuletzt geändert: 17.06.2011


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